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Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten

Koproduktion mit dem Schauspielhaus Zürich und der Akademie der Künste Berlin / gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds

von Christoph Marthaler mit Texten von Friedrich Hölderlin
Regie: Christoph Marthaler
Uraufführung am / 29/05/2021
MalerSaal
1 Stunde
25 Minuten
Keine Pause
Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten
Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten
Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten
Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten
Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten
Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten
Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten
Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten
Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten
Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten

„Wie war denn ich? War ich nicht wie ein zerrissen Saitenspiel? Ein wenig tönt ich noch, aber es waren Todestöne.“
Hölderlin, »Hyperion«

Es gibt neben dem Dichtergenie und neben dem Wahnsinnigen auch einen fast alltäglichen Hölderlin, der mit den Widersprüchen des Daseins kämpft, der sein Leben nicht im Griff hat und in seiner Verzweiflung Dinge zu Papier bringt, die uns in ihrer schlichten wenn auch manchmal paradoxen Einfachheit auf eine fast selbstverständliche Weise ansprechen und fesseln. Kein hoher Ton, keine Huldigung an das alte Griechenland und seine Götter und Held*innen sondern profanes Leiden, Ratlosigkeit und Überanstrengung sind dann seine Themen, trübe, voller Selbstzweifel und angewidert von den dumpfen Verhältnissen und stumpfen Mitmenschen und der Einsicht, selber auch nicht unbedingt besser zu sein. Auf der B-Seites des Lebens macht Hölderlin z. B. die Erfahrung, dass eine junge Dame (nicht Diotima), es ablehnt ihn zu heiraten. Er notiert dies sofort auf dem gleichen Blatt, auf dem er gerade noch eine seiner bedeutendsten Hymnen (»Mnemosyne«) entworfen hat:, „Und ledig soll ich bleiben“, und schickt gleich eine kleine Drohung an die Unwillige hinterher: „Leicht fanget aber sich, in der Kette, die es abgerissen, das Kälblein.“

Oder gegen die ihm nicht unbekannte Euphorie des Dichters, die Gefahr abzuheben und den Boden unter den Füßen zu verlieren, schreibt er: „Man kann auch in die Höhe fallen, so wie in die Tiefe“, nämlich dann, wenn man die Nüchternheit verliert, die für jeden unterschiedlich die „Grenze deiner Begeisterung“ markiert. Hölderlins Werk, zumindest ab 1794, beschäftigt sich intensiv auch mit profanen Lebensfragen, die ihn ganz persönlich quälten. Er war nicht nur der heroisch leidende Dichter, er war auch einfach eine arme Kreatur, die litt, „weil sich ein Traum sich mir nicht erfüllte“ und die sich fragte, „was ist mir fehlgeschlagen?“. Hölderlin wusste, dass seine Oden, seine Hymnen und Gesänge zwar sehr ernst waren, aber so ernst auch wieder nicht. Das Leben selbst jedenfalls war noch viel ernster als etwa sein perfekt gelungenes Gedicht wie »Hälfte des Lebens«. Und seine dichterische Hochbegabung war immer nur ein schwacher Trost, zumal wenn Goethe und Schiller mit allerlei unverschämten Invektiven in konzertierter Aktion versuchten ihn kleinzuhalten, womit sie ihn zwar als ernsthaften Konkurrenten anerkannten, aber auch an seinem gesellschaftlichen und ökonomischen Ruin beteiligt waren, den er allerdings hauptsächlich seiner „geizigen“ Mutter zu verdanken hatte, die ihn von dem ihm eigentlich zustehenden Erbe fernhielt. Selbst als er nach seinem Rausschmiss aus dem Bankhaus Gontard in Frankfurt und der damit verbundenen Trennung von seiner Geliebten zu seinem besten Freund Isaac von Sinclair nach Bad Homburg zog, musste er feststellen, dass er dessen vermeintlich reine und exklusive Zuneigung, die starke homoerotische Züge trug, mit einem ganzen Haufen „auffallender Gestalten“ zu teilen hatte, die Sinclair (Alabanda im »Hyperion«) ihm lange verschwiegen hatte. „Mir war wie eine Braut, wenn sie erfährt, dass ihr Geliebter insgeheim mit einer Dirne lebe.“

Die B-Seite des Lebens bringt immer wieder ungeahnte Höhepunkte hervor. Das sieht man in der Musikindustrie, wo die eigentlichen Meisterwerke oft auf der B-Seite zu finden sind, und genauso schon bei Hölderlin, der schrieb, zur „wahrsten Wahrheit“ gehöre auch der Irrtum. Und der auch dem „Inferioren“ und sogar dem „Barbarischen“ einen legitimen Platz zugestand, zumindest in der Sprache der Poesie, die ihm gleichzeitig zuwider war. „Ich kann meine Sprache nicht mehr ertragen, ich wollte lieber ein Ton sein, im Himmelsgesang.“

Im profanen Scheitern, in den kleinen und großen Fehlschlägen, aber auch in Hirn zermarternden Denkanstrengungen, denen kein Paradox fremd ist, bewegen sich »Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten« in Christoph Marthalers Hölderlinbetrachtung, tapfer, ergeben und verschwindend, übergehend in Töne, in Musik. Sie wirken wie Illustrationen der Klagen des Dichters, aber sie sind keine Illustrationen, sie sind einfach. „Wir wohnen hier unten einsam und arm, wie der Diamant im Schacht.“

Um diese so gegenwärtige Erfahrung der sozialen Distanz und der Abkapselung selbst zu machen, brauchen wir keine Corona bedingte Isolation, wir brauchen nur ein bisschen Hölderlin. Oder anders ausgedrückt: Die Coronaregeln formulieren ein Extrem, das für Hölderlin ein ganz unvermeidlicher Teil moderner Tragik ist. „Das ist das Tragische bei uns, dass wir ganz still in irgendeinen Behälter eingepackt, vom Reich der Lebendigen hinweggehen, nicht, dass wir in Flammen verzehrt, die Flammen büßen, die wir nicht zu bändigen vermochten.“

Ich glaube, Christoph Marthalers freundlicher Sarkasmus und Friedrich Hölderlins „in die Höhe Fallen“ passen ganz gut zusammen, und auch ein „zerrissen Saitenspiel“ ist zu schönen Tönen fähig.

Carl Hegemann
Hamburg, 29/11/2020

Pressestimmen

NDR 90,3

„Der Kontrast könnte kaum größer sein: Das Publikum tost, und davor: Stille. Ein leiser Abend, wie eine gerissene Saite. […] Ja, vielleicht ist es genau richtig, dass das Schauspiel sich wieder mit einem leisen Abend zurückmeldet, der von der Zerbrechlichkeit der Kunst erzählt. Und das ist mehr als geglückt.“

nachtkritik.de

„In Sachen Slapstick und leiser Situationskomik macht dem [Regisseur] nach wie vor niemand so leicht etwas vor. […] Marthaler nimmt Hölderlin in dessen teils arg pathetischem Selbstmitleid ernst, indem er ihm immer mal wieder mit fein gesetzten Seitenhieben grinsend Richtung Jenseits zuzwinkert. Dabei geschieht ein kleines Wunder: Marthaler und sein hervorragendes Ensemble zeigen ganz unaufgeregt in noch nicht einmal anderthalb Stunden, was Theater so lebenswichtig macht.“

SWR2

„Es sind wie immer kleine, feine, genauestens aufeinander abgestimmte Details, die hier zünden, die Mischung aus Schwermut und Schelmerei. [An diesem] wohl melancholischsten und zugleich schwebensten Marthalerabend schauen die Protagonisten mit Hölderlin und durch Marthaler auf sich, uns, die Welt. Als optimistische Pessimisten. Mit heiterer Verzweiflung. Was für ein großer Abend im kleinen Malersaal.“

Deutschlandfunk Kultur

„Der kleine 80-Minutenabend, eine Mischung aus Theaterspiel und neue Musikperformance, steckt voller Klangeffekte. […] Das Theater ist wieder da, gar nicht spektakulär und ganz ohne aufzutrumpfen, ist es hier zu bestaunen. Im Alltag des ewigen Scheiterns, wie im überraschenden Glück des Augenblicks.“