Das große Heft
Zwei Brüder, Zwillinge, werden aus der Stadt zu ihrer Großmutter aufs Land gebracht. Es ist Krieg, die Stadt wird bombardiert. „Ich werde euch zeigen, wie man lebt!“, sagt ihre Großmutter, die im Dorf allgemein „die Hexe“ genannt wird. Ihre beiden Enkel nennt sie „Hundesöhne“ – Zuneigung und Zärtlichkeit können die Kinder von ihr nicht erwarten. Nahezu auf sich allein gestellt, müssen sie lernen, wie man in einer Welt der Gewalt, des Hungers und des Elends überlebt; wie man unempfindlich wird gegen psychischen und physischen Schmerz; wie man bettelt, lügt, stiehlt und tötet. Spiel gibt es nicht in dieser Welt; alles ist Training für den Ernstfall, für die Entscheidung über Leben und Tod. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen sammeln die Zwillinge in einem großen Heft. Ágota Kristóf erfindet dafür eine einzigartige Sprache, die sie als Autorin weltberühmt macht: Analytisch, beobachtend, kalt erzählen die Kinder ihren Alltag im Krieg. Die Gefühle, die das Erzählte auslöst, sind umso beklemmender.
In Karin Henkels Inszenierung begegnet dieser literarische Blick auf den Krieg den Stimmen jener, die ihn erlebt haben: Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die als Kinder den Hamburger Feuersturm überlebt haben - jene Tage im Juli 1943, als ganze Stadtteile Hamburgs in Flammen aufgingen. Die Zeitzeug*innen erzählen von Nächten im Keller, von brennender Luft, von Eltern, die verschwanden, und vom langen Schweigen danach, aber auch davon, wie der Feuersturm die Rettung vor der drohenden Deportation in ein Vernichtungslager bedeutete.