Ecce Homo oder: Ich erwarte die Ankunft des Teufels
Als der gefolterte, blutende Jesus vor das Volk geführt wurde, soll Pilatus gesagt haben: Siehe, der Mensch! Nietzsche, der Antichrist, übernimmt den Ausspruch, um sich sein Leben zu erzählen: es sei der Versuch, über sich „ein wenig Licht und Schrecken zu verbreiten“. Zwei Monate nach der Vollendung von »Ecce Homo« (lat. für „Siehe, der Mensch“) endet seine Schaffenszeit in der geistigen Umnachtung. Zehn Jahre später, Nietzsche war gerade gestorben, entsteht auf der anderen Seite des Atlantiks ein nicht minder selbstsüchtiger Tagebuchroman, verfasst von der neunzehnjährigen Mary MacLane. In der Ödnis von Montana verhandelt sie ihr Leben und Denken, gewissenlos und mit einer „wunderbaren Fähigkeit zu Elend und zu Glück.“ Ihre Erlösung erwartet sie, in gewisser Weise wie Nietzsche, in der Ankunft des Teufels.
Zwei hemmungslose Egomanen, die alles andere als Egoisten sind, fordern die Welt heraus, an der sie verzweifeln. Zuflucht finden sie im Rausch einer „Umwertung aller Werte“. Der Ich-Kosmos manövriert sich durch die Gesellschaft der Anderen. Ist es denkbar, dass Selbstsucht und ein solidarisches, empathisches Miteinander sich vertragen?
Zu Beginn der Spielzeit 19-20 musste »Ecce Homo« aus Gründen der Besetzung kurzfristig auf die Spielzeit 20-21 verschoben werden. In der Zwischenzeit hat die Konzeption des Abends eine neue Richtung genommen. Nietzsches fulminantes Denken wird mit MacLanes virtuoser Weltbeschäftigung in Kontrast gesetzt, die 120 Jahre nach ihrem Erscheinen nun erstmals ins Deutsche übersetzt wurde. Der erste Teil beruht auf der Schrift Nietzsches, der zweite Teil auf dem Roman MacLanes.