Vampire’s Mountain

Wenn sich der Zukunftshorizont verdunkelt, haben Erzählungen von Vampiren Hochkonjunktur. Tatsächlich gibt es kein Volk der Erde, dem diese Geschichten fremd wären. Kein Volk der Erde, dem die Natur, die es zu beherrschen und verbrauchen lernte, nicht als Schreckgestalt wiederkehrte.
Der bildende Künstler, Szenograf und Regisseur Philippe Quesne ist ein Meister des skurril-fantastischen Bildertheaters. In vielschichtigen Partituren verwebt er ästhetische und wissenschaftliche Fragestellungen zu zarten, melancholischen und überaus heiteren Panoramen unserer Zeit, in denen das Momentum der Verwandlung stets die entscheidende Rolle spielt. Als Kopf der französischen Performancetruppe Studio Vivarium gehört er seit mehr als zwei Jahrzehnten zu den erfolgreichsten europäischen Theatermacher*innen. Das von ihm von 2014 bis 2020 geleitete Pariser Théâtre Nanterre-Amandiers galt als Hotspot für neue Theaterentwürfe.
Zum ersten Mal wird er nun am Deutschen SchauSpielHaus in Hamburg inszenieren, Mitglieder des Studio Vivarium und unseres Ensembles verbinden, um mit ihnen gemeinsam den Ängsten unserer Gegenwart zu trotzen. Denn Quesnes Arbeiten sind Ausdruck einer Überlebenskunst in gefährlicher Zeitenwende. Sie fragen nach Gemeinschaftsbildung und nach unserem Umgang mit der Umwelt. Woher rührt unser Krisenbewusstsein? Woran misst die Menschheit die Realität? In immer wieder neuen Versuchen zeichnen sie die Entwicklung der Menschheitsgeschichte nach, ihre Höhenflüge und Abstürze. Jede neue Produktion versteht sich als die nächste Etappe dieses großen Lebensprojekts,
das sich auch als luzides Verweisspiel mit unseren kulturellen Prägungen lesen lässt.
Und so mag der Beginn von »Vampire’s Mountain« zunächst noch bekannt erscheinen: Ein abgelegener Ort. Vereinzelte Menschen verschiedener Herkunft treffen nach und nach ein. Niemand weiß genau, wozu er oder sie gebeten ist. Gilt es eine Erbschaft anzutreten? Etwas, jedenfalls, liegt tief vergraben. Oder hat es sich bereits aus der Erde befreit? Die Ungewissheit erzeugt eine phantastische Wachheit, die langsam, aber sicher die Wahrnehmung verändert: Sehen die kahlen Berggipfel in der Ferne nicht aus wie die Zähne eines Vampirs?