Mely Kiyak hat Gesellschaft

Eigentlich ist keine Zeit richtig für Literatur. Immer ist der Schrecken zu groß für die Worte, ist die Lüge zu laut für die Literatur, ist die Politik zu obszön, um ihr nicht mit der Schärfe der Polemik zu begegnen. Jetzt muss ein „aber“ kommen. Und hier ist es: Aber in jeder Zeit gibt es Literatur. Vielleicht, weil Menschen nicht aufhören können zu formulieren, solange sie können, so wie sie atmen müssen, solange sie nicht tot sind. Literatur kann in Schönheit leuchten. Oder in tausend Gelächter zerfetzen. Sie kann nichts ungeschehen machen und keine Zukunft der Welt generieren, aber sie kann das Unsichtbare sichtbar und die Wirklichkeit unmöglich machen.

Mit ihren politischen Kolumnen für die ZEIT, das Magazin »Republik« und das »Maxim Gorki Theater« und in ihrer literarischen Prosa sucht und findet die Schriftstellerin Mely Kiyak unermüdlich Worte für die Absurditäten, Gefahren und Schrecken des politischen Alltags, die ihren Leser*innen nur wenige Momente lassen, um aus dem Lachen und Heulen raus zu kommen. Aber sie ist nicht nur eine brillante Beobachterin ihrer Zeit: ihr Schreiben ist auch immer Lesen. In ihrer Reihe für »REALNISCHE 0« lädt sie Freund*innen ein, um mit ihnen Literatur zu lesen und darüber ins Gespräch zu kommen. „Gesellschaft“ ist ein Wort mit vielen Gesichtern. „Gesellschaft“ sind wir alle meistens dann, wenn es darum geht, soziologisch zu klären, was schief läuft. „Gesellschaften“ sind aber auch parallel, beschränkt, kapital oder aktienbewehrt. Aber ist Gesellschaft wirklich etwas, das man sein kann, oder nicht eher etwas, das man hat, ob man will oder nicht? Wie eine Krankheit, ein Talent oder eine Liebe? Mely Kiyak ist nicht Mitglied, ist nicht Gesellschaft und auch nicht in Gesellschaft. Sie ist Leserin und Autorin. Sie HAT Gesellschaft.