Revolution
Der Roman »Revolution« handelt nicht von Revolution, eher vom Gegenteil: Dem Fortbestand und der Fortpflanzung von Macht. Dennoch haben sich Demonstrierende während der Proteste 2020 in Minsk immer wieder mit dem Buch in der Hand fotografieren lassen. In Belarus, dem Heimatland des Autors, wurde es zu einem Zeichen des Widerstands – dann schnell verboten und sein Verleger verhaftet. Offenbar, weil es die Strukturen, auf welche die Macht sich stützt, so treffend beschreibt, in ihren sublimen wie ihren brachialen Formen und Auswüchsen. Und obwohl der Schauplatz des phantastischen Geschehens gar nicht Minsk ist, sondern das mondäne, vom cashflow durchspülte Moskau, dem Ort der Korruption und der Reichtümer unvorstellbaren Ausmaßes. Die stalinistische Vergangenheit, die Phantasie und der Horror allumfassender Macht, auch ihre literarische Spiegelung in Michail A. Bulgakows großartigem Roman »Der Meister und Margarita«, scheinen auferstanden und ragen in die Jetztzeit hinein. Aber alles in »Revolution« ist extrem modern und auf der Höhe der Zeit: Luxus-SUVs, Waffen, Überwachungs- und Unterhaltungselektronik und sonstige Verführung.
Die Hauptfigur, ein Dozent für Architektur, wird in einen mysteriösen Autounfall verwickelt und gezwungen, umgehend eine größere Summe Geld aufzutreiben. Das ist der Anfang seiner Verbindung mit einer mafiösen Organisation um einem greisen Paten, der tatsächlich Regierungsmacht ausübt, jedenfalls alle staatlichen Organe zu kontrollieren scheint. Bald schon lernt der Held die Schokoladenseite dieser Quasi-Diktatur kennen, auf der es sich gut leben lässt – wären da nicht diverse Einsätze, die äußerste Brutalität und Skrupellosigkeit erfordern. Das Geschehen nimmt gespenstische Fahrt auf. Der Held und Ich-Erzähler verlässt seine Geliebte – die eigentliche Adressatin des Romans, der die neuen Reichtümer unheimlich sind – und korrumpiert sich selbst restlos. Noch im Moment des größten möglichen Widerstands muss sich der Held als absolut vorhersehbar in seinen Handlungsreflexen erkennen. Selten wurde die Frage nach der Steuerbarkeit von Menschen so radikal und zeitgemäß gestellt wie in Martinowitschs’ jüngstem Roman. Die Idee persönlicher Freiheit steht schonungslos auf dem Prüfstand.
Daniel Hoevels erhielt für die Rolle des Michail German den Theaterpreis Hamburg - Rolf Mares für "Herausragende Darstellung".
Die Begründung der Jury lautet:
Daniel Hoevels ist eine Idealbesetzung in diesem hellsichtigen Stück des belarussischen Autors Viktor Martinowitsch, in einer rasanten, ästhetisch-politisch bestechenden Inszenierung mit einem glänzend aufspielenden Ensemble an seiner Seite. Der Schauspieler verkörpert die Karriere des jungen, blassen, ehrgeizigen Moskauer Architektur-Dozenten Michail German, der sich in den 2010ern mit einem mafiösen Geheimbund einlässt. Hoevels legt in seiner mimisch, gestisch, sprachlich spannungsgeladenen Gestaltung die brisante Mixtur eines unpolitischen Mitläufers mit dem Willen zur Unterwerfung bei gleichzeitiger Verführbarkeit der Macht offen. Wie Ohnmacht, Angst, Scham, Skrupel, Korrumpierbarkeit und Opportunismus umstandslos umschlagen können in Gier, Gewalt und Herrschaft. Ihm zuzusehen, wie er in diesem abgründigen Spiel zwischen „Comic-Strip, Ego Shooter und Tarantino-Trash“ (nachtkritik) seine Figur dennoch nicht verrät, ist schlicht großartig.